Homestory: Andre Höchemer – Ein Alemol in Valencia

Heute wollen wir euch einen waschechten Alemol (Die Mischung aus Alemán und Español) vorstellen. André Höchemer begeistert uns regelmäßig mit seinem Blog www.diariodeunalemol.com und unsere Kinder beim Basteln und Geschichten erzählen auf Deutsch. 

  1. Warum und wann hat es dich nach Valencia verschlagen und was hat dich hier gehalten?

Ich habe in Deutschland Hispanistik und Anglistik studiert und als sich mir die Möglichkeit bot, im Rahmen des Erasmus-Programms ins Ausland zu gehen, bin ich dem Tipp einer aus Valencia stammenden Lektorin gefolgt. Das war im Herbst 1997. Und da habe ich dann auch gleich meine zukünftige Frau kennengelernt, sodass ich bis zum Ende meines Studiums hin- und hergependelt bin. Im Juni 2000 bin ich dann ganz nach Valencia gezogen und wohne seitdem im schönen Viertel Benimaclet.

  1. Du bist selbstständiger Übersetzer und Dolmetscher. War es für dich schwierig hier am Anfang beruflich Fuß zu fassen?

Ich hatte als Erasmus-Student bereits in einem Übersetzungsbüro in Valencia gejobbt, aber der Einstieg in die Branche war dennoch schwer, ja. Die ersten zwei Jahre nach meinem Umzug habe ich in der Marketingabteilung einer Obst- und Gemüse-Exportfirma gearbeitet, aber schnell gemerkt, dass mir die Übersetzungen besser liegen. Ich habe mich dann 2002 selbstständig gemacht, als ich neben meiner Arbeit in der Exportfirma die ersten Stammkunden hatte. Trotzdem hat es lange gedauert, bis ich davon leben konnte. 2007 wurde ich vom spanischen Außenministerium als „traductor e intérprete jurado“ ermächtigt. 2011 habe ich dann meine eigene Marke geschaffen.

  1. Du hast zwei kleine Kinder im Alter von 5 Jahren. Wie lebt es sich deiner Meinung nach in Valencia als Familie mit Kindern? Welche Unternehmungen kannst du anderen Familien empfehlen?

Valencia ist einfach perfekt für Familien: Es gibt viele Spielplätze und Grünanlagen, das in einen riesigen Park umgewandelte ehemalige Turia-Flussbett, den Gulliver-Spielplatz und natürlich Strand, Berge und viele tolle Naturlandschaften für Ausflüge. Als drittgrößte Stadt Spaniens hat Valencia auch ein vielfältiges Angebot mit Kultur- und Freizeitaktivitäten für Kinder und Erwachsene: Festivals, Kinos, Theater und vieles mehr, daneben den wirklich tollen Zoo, das Aquarium. Man kommt gar nicht dazu, alles wahrzunehmen.Foto für Interview 1

  1. Was ist für dich typisch valencianisch? Z. b. beim Essen, Kultur, Lifestyle…

Valencianer gelten als „meninfots“, was so viel bedeutet, dass ihnen alles irgendwie egal ist und am „A… vorbeigeht“. Das ist natürlich ein Klischee und stimmt so nicht, aber die Gleichgültigkeit vieler Valencianer angesichts unzähliger Korruptionsfälle in Valencia in der Vergangenheit sorgt dafür, dass dieses Klischee weiter besteht.

In Valencia scheint fast das ganze Jahr die Sonne, und das macht sich auch im Wesen der Menschen hier bemerkbar. Sie verbringen ihre Freizeit gerne draußen und sind bei schlechtem Wetter manchmal etwas überfordert. (Er lacht.) Die Valencianer sind offen und sehr umgänglich und gastfreundlich. Das merken Urlauber und Besucher, aber auch „guiris“ wie ich, die hier Fuß fassen. Ich habe mich dank der freundlichen Art der Menschen hier gut und schnell einleben können.

Was die Gastronomie angeht, so hat Valencia viel mehr zu bieten als nur die weltbekannte Paella. Ach ja, Vorsicht: Bei ihrer (typisch valencianischen) Paella sind die Valencianer sehr eigen und achten penibel darauf, dass die traditionelle Rezeptur eingehalten wird. Alles andere ist für sie nämlich „arroz con cosas“ und keine echte Paella. Ansonsten liebe ich eher die einfachen Gerichte in Valencia: Tapas, wie „patatas bravas“ oder „ensaladilla rusa“, und traditionelle Spezialitäten wie „arroz a banda“ und „fideuà“.

  1. Dein persönlicher Valencia-Tipp?

Ich gehe gerne mit meinen Kindern zum Spielen in den Viveros-Park (eigentlich: „Jardines de Viveros“), den Turia-Park oder den Cabecera-Park und liebe die Gewohnheit des „aperitivo“, bei dem man sich (meist am Wochenende) mittags vor dem Essen auf ein (paar) Bier und Häppchen trifft und dann irgendwie immer länger hängen bleibt, als man eigentlich geplant hatte. Im Sommer bin ich auch gerne mal abends am Strand, vor allem am Patacona-Strand und genieße ein Feierabendbier in „A la bartola“. Am wohlsten aber fühle ich mich noch immer in meinem Viertel Benimaclet, das in den letzten Jahren immer beliebter geworden ist. Wer es noch nicht kennt, sollte unbedingt mal vorbeischauen – es ist immer einen Besuch wert. Der Plaza de Benimaclet und Umgebung sind absolut sehenswert; meine Lieblingslokale sind das Café La Ola Fresca, die Pinchos-Kneipe El Carabasser und die Musikkneipe Tallafocs.

  1. Wie unterscheidet sich das Leben hier von dem in Deutschland?

Ich bin ja nun schon lange in Valencia (fast mein halbes Leben), sodass ich nicht wirklich objektiv bin. In Deutschland stamme ich aus einem kleinen Dorf in Hessen, sodass ich in Valencia ein wenig den Wald, die Ruhe und die vielen Grüntöne vermisse. Aber das ginge mir in einer deutschen Großstadt wahrscheinlich genauso. Auf der anderen Seite bin ich aber auch mittlerweile ein kleiner „Städter“, denn das Kultur- und Freizeitangebot in Valencia würde mir in einer Kleinstadt sicher fehlen. Ansonsten, denke ich, wäre mein Leben in Deutschland recht ähnlich: Ich arbeite viel, gehe gerne joggen und schwimmen und verbringe die restliche Freizeit mit meinen Kindern und Freunden, und das alles geht ja auch in Deutschland. Das fast ganzjährig gute Wetter in Valencia ist natürlich ein großer Pluspunkt – das kann ich nicht leugnen.

  1. In deinem Blog schreibst du ja unter anderem auch über die spanische Alltagssprache … Kannst du uns eine  viel benutzte Alltagsfloskel nennen? 

Ich muss gestehen, dass ich gern und viel rede. Als Übersetzer und Dolmetscher bin ich natürlich darauf bedacht, möglichst fehlerlos zu sprechen (egal in welcher Sprache) und neben dem Hochdeutsch und Standardspanisch auch meinen hessischen Dialekt beizubehalten, die spanische Umgangssprache zu pflegen und hin und wieder etwas Valencianisch dazuzulernen. Ich fluche leider gerne und (allzu) oft, wenn ich mit Freunden zusammen bin, vor allem auf Spanisch, und finde beispielsweise die Ausdrücke mit „me cago en …“ sehr nützlich. 😉 Aber jetzt mal im Ernst: Eine beliebte spanische Floskel, die mir gefällt, ist „ni fu ni fa“, auch wenn sie eher wie Chinesisch klingen mag. Übrigens – Achtung, Werbung! – habe ich ein Buch über die spanische Sprache und Kultur geschrieben, das viele kurze Artikel zu verschiedensten Alltagsthemen enthält. Ende der Werbeunterbrechung! (Er lacht.)

  1. Hast du schon mal mit dem Gedanken gespielt wieder zurück nach Deutschland zu gehen, wäre das eine Option für dich?

Ehrlich gesagt würde es mir schwerfallen, da ich nun schon fast zwanzig Jahre in Valencia lebe und hier meine Freunde und (spanische) Familie habe. Meiner Tätigkeit könnte ich zwar auch von Deutschland aus nachgehen, aber der enge Kontakt zu meinen hauptsächlich spanischen Kunden ginge dann sicher verloren. Land und Leute sind mir hier wirklich ans Herz gewachsen, und auch wenn ich immer etwas zwischen den Stühlen sitze – daher mein Marken- und Spitzname „Alemol“ (alemán + español) – schlägt mein Herz doch sehr für Spanien, und vor allem für meine Wahlheimat Valencia.

Vielen Dank, André, für deine Offenheit und deine guten Tipps. Wir freuen uns auf viele weitere originelle Beiträge auf deinem Blog  www.diariodeunalemol.com und auf die nächste Bastelstunde mit unseren Kids.