Homestory Gabriela Hallas: persönliche Eindrücke des Mauerfalls 1989 in Berlin

In unserer heutigen Homestory machen wir eine Zeitreise und begeben uns nach Ostdeutschland vor dem Mauerfall. Im Gespräch mit der damals 17-jährigen Gabi gibt sie uns Ihre persönlichen Einblicke in das Ostdeutschland, wie sie es damals erlebt hat.

Erzähl uns ein wenig über deine Person. Wer steckt hinter Gabriela?

Ich komme ursprünglich aus dem heutigen Mecklenburg-Vorpommern und mein Geburtsort Teterow gehörte damals zum Bezirk Neubrandenburg. Als ich drei Jahre alt war sind meine Eltern mit mir nach Halle/Saale im heutigen Sachsen-Anhalt gezogen, wo ich dann auch aufgewachsen bin. Nach dem Abi bin ich nach Berlin gegangen, wo ich von 1991 bis 2000 lebte. Nach meinem Magisterabschluß in Anglistik / Amerikanistik und Hungarologie hat es mich wieder nach England gezogen, wo ich bereits ein Jahr während meines Studiums lebte. In England war ich dann sieben Jahre lang bevor ich mich entschied, nach Argentinien zu gehen. Eigentlich nur für ein Jahr, aber im Endeffekt sind zehn Jahre Buenos Aires daraus geworden – naja, wie das Leben so spielt… Und seit April 2016 lebe ich nun in Valencia. Ich singe gern und spiele gern Theater, aber im Moment habe ich leider wenig Zeit dafür.

Was hat dich nach VLC verschlagen?

Ich wollte zurück nach Europa – Argentien war mir auf die Dauer zu heiß. Dadurch, dass mein Mann aus Peru kommt und Spanisch spricht und ich nicht unbedingt nach Deutschland zurück wollte, war Spanien naheliegend. Ich kannte bereits Madrid und Barcelona sowie Andalusien, wo ich aber nicht unbedingt wieder hin wollte. Und irgendwie wurde zu diesem Zeitpunkt Valencia immer präsenter – in den Nachrichten, im Internet – und so fiel unsere Wahl auf diese tolle Stadt.

Wir feiern dieses Jahr den 30-jährigen Mauerfall – Wie alt warst du und wie hast du die Zeit der Mauer erlebt?

30 Jahre klingt nach einer ganz schön langen Zeit, wow… das ist schon schockierend. (lacht) Es ist schwierig, so viele Erfahrungen in einem Satz zu beschreiben. Aber ich versuche es mal. Also, ich war 17 als die Mauer fiel – ich bin Baujahr 1972. Für mich war das Leben vor dem Mauerfall ganz normal. Die Mauer stand ja bereits, als ich geboren wurde. Für mich als Kind gab es die Frage nie, warum diese Mauer bzw. diese Grenze da war. Ich kann natürlich nur für mich persönlich sprechen und kenne viele Leute, die älter sind als ich, die ganz andere Erfahrungen hatten. Klar, es gab Sachen, die anders waren, aber ich persönlich hatte eine zufriedene und ganz normale Kindheit.  Ja, es gab in der Schule Jung- und Thälmannpioniere und die FDJ, aber das gehörte irgendwie dazu und wurde von uns Kindern und Jugendlichen auch nie so richtig hinterfragt. Zwei Stunden nach Brot anstehen, wie von einigen behauptet wird, mussten wir übrigens nie. Klar, wenn es Bananen gab, gab es schon Schlangen und das ist auch heute noch ein Witz unter den Ostdeutschen: Wenn man heute irgendwo eine Schlange sieht, dann heißt es meist „Schau mal, da gibt es bestimmt Bananen.“ (lacht). Aber im Grunde hatten wir alles, was man so zum Leben braucht. Ich finde der Film „Sonnenallee“ spiegelt mit viel Humor ganz gut wider, wie das Leben so war.

Seid ihr häufig gereist? Wie war das bei euch?

Meine Oma wohnte im heutigen Mecklenburg-Vorpommern und wir in Halle. An allen Winter-, Weihnachtens-, Frühjahrs- und Herbstferien war ich immer bei meiner Oma in Mecklenburg und die großen Sommerferien bei meiner Oma in Ungarn. Mein Vater ist Ungar. Das war damals schon etwas besonderes, einmal im Jahr nach Ungarn fahren zu können. Ungarn war damals sehr teuer, da wir aber dort Familie und Unterkunft hatten, war es für uns möglich. Wir waren auch in Polen und in der Tschechoslowakei. Natürlich wurde man damals an der Grenze oft gefilzt und es gab lange Schlangen. Ich habe bis heute noch „Grenzpanik“, weil unsere Eltern uns immer sagten, wenn wir uns der Grenze näherten „So Kinder, jetzt seit ruhig.“, um bloß nicht aufzufallen und um nicht gefilzt zu werden. Manchmal klappte das und manchmal eben nicht. Nach Westdeutschland zu fahren kam mir als Kind damals nie in den Sinn, es war einfach so. Im Geographieunterricht haben wir natürlich viel über den Ostblock gelernt und weniger über Spanien, Frankreich und Großbritannien oder so. Es stand einfach nicht zur Debatte in diese Länder zu fahren, das war eben so.

Wie hast du den, 09.11.1989, den Tag des Mauerfalls erlebt?

Das kann ich dir genau sagen. Um 19:30 Uhr an einem Donnerstag wurde es in den Nachrichten bekannt gegeben. Ich saß bei meinen Eltern im Wohnzimmer und hörte von der Öffnung der Mauer zuerst im Radio. Dann wurde natürlich gleich der Fernseher eingeschaltet. Es war irgendwie komisch, es konnte keiner so richtig glauben. Ich war damals auch auf Mahnwachen und Montagsdemos – erst heimlich, später dann gemeinsam mit meinen Eltern – aber irgendwie hat niemand geglaubt, dass die Mauer geöffnet wird. Es war ja eigentlich auch ein bürokratischer Irrtum und die Lockerung der Grenzkontrollen sollte ja eigentlich ganz anders ablaufen. Wieder eine Filmreferenz – der Film „Bornholmer Straße“ zeigt ziemlich gut, wieviel Verwirrung es gab. Ich bin auch immernoch überrascht, wie friedlich das alles abging… Tja, und dann am Samstag, ich weiß wir hatten damals noch samstags Schule, war fast die ganze Schule leer. Alle sind erst einmal nach Westdeutschland oder Westberlin gefahren. Ich bin zwei Wochen später mit einer Freundin mit dem Zug nach Berlin. Wir sind bis Ost-Berlin gefahren und sind dann zu Fuß am Bahnhof Friedrichstraße in den Westteil der Stadt.  Vorab mussten wir uns aber noch in Halle bei der Polizei einen Stempel einholen, ein Visum sozusagen. Da stand man dann ca. drei Stunden vor diesem Polizeigebäude, als ob es Bananen gab (lacht) und für 5 Ostmark hat man den Stempel bekommen und konnte reisen. Zwei Wochen später wurde uns allerdings gesagt, dass man den Stempel doch nicht brauchte und wir bekamen das Geld wieder zurück. Ein Durchschnittseinkommen war damals so um die 800 Mark (Ost) und da waren 5 Mark natürlich viel Geld. Also stellten wir uns wieder in die Schlange, um das Geld zurückzubekommen.

Wie war die Ankunft für dich in Westberlin?

Woran ich mich noch genau erinnern kann, war ein riesiger Lakritzstand. Wir hatten bei uns auch Lakritze, aber diese Hariboschnecken und was es nicht alles gab, das war irgendwie überwältigend. Das war dann auch das erste, was ich mir von meinem Begrüßungsgeld gekauft habe. Ah ja, jeder DDR-Bürger hat damals bei seinem ersten BRD-Besuch 100 DMark Begrüßungsgeld bekommen. Und woran ich mich noch erinnere war sehr viel und bunte Leuchtreklame. Das gab es bei uns nicht.

Was hat sich für dich danach verändert?

Es hat sich für mich sehr viel verändert. Ich wäre jetzt weder hier in Spanien, noch in Argentinien oder in England gewesen. Ich wäre auch nie zum Studium nach Berlin gegangen. Ich war in Halle auf einer speziellen Sprachschule und hätte danach in Ungarn Pharmazie studiert. Dann kam der Mauerfall und alle Pläne, die man hatte, waren auf einmal hinfällig. Tja, und so bin ich dann nach dem Abi nach Berlin gegangen. Ich persönlich bin froh, dass die Mauer fiel, aber ich weiß auch,  dass viele ältere Menschen arbeitslos wurden und auch die letzten Jahre bis zur Rente keine Arbeit mehr finden konnten. Das war natürlich sehr bedrückend und frustrierend. Für mich persönlich war „die Wende“ positiv – ich hatte zwar eine schöne Kindheit und Jugend, aber der Fall der Mauer öffnete mir Türen und bot mir ganz neue Möglichkeiten.

Wie war dein Alltag in der DDR – an was kannst du dich erinnern?

Mein Alltag war eigentlich ganz normal: früh aufstehen, in die Schule gehen, nachmittags Sport machen, Hobbys nachgehen usw. Ich habe viel Leichtathletik gemacht, hatte Gitarrenunterricht und durfte einmal die Woche zum Reiten auf die Pferderennbahn. Manchmal gab es vor dem Unterricht morgens um 7:00 Uhr Fahnenappell. Da wurde uns erzählt, wieviel Altpapier und Flaschen die Schule gesammelt hat, wann der nächste Soli-Basar ist, was die Partei (es gab ja nur eine) für wunderbare Sachen vollbracht hat… Naja, so Sachen halt. Und mit 14 bekamen wir alle die Jugendweihe. Das war sozusagen anstelle der Kommunion. Wir bekamen damals alle das Buch „Vom Sinn unseres Lebens“. Schade, dass ich es nicht mehr habe – wäre bestimmt interessant. (grins)

Wie ist es wenn du auf Ostdeutsche triffst?

Wenn ich jemanden aus dem ehemaligen Osten treffe, ist da manchmal schon eine andere Verbindung, als wenn ich jemanden aus Westdeutschland kennenlerne. Für mich sind viele Orte im westlichen Teil Deutschlands unbekanntes Land. Wenn jemand allerdings sagt, er sei aus Schwerin oder Leipzig habe ich eine andere Beziehung dazu, zumal ich diese Orte kenne. Es ist mir allerdings auch schon passiert, dass wenn ich auf Ostdeutsche treffe, diese dann sagen, sie hätten in Frankfurt oder München studiert. Sie wollen lieber nicht mit dem Osten in Verbindung gebracht werden. Aber dadurch, dass ich in Ostdeutschland aufgewachsen bin und mein Vater aus Ungarn kommt, habe ich manchmal schon eine größere Affinität zu Osteuropäern. Ich habe das Gefühl, dass die Geschichte eines Tschechen oder eines Polen mehr Bezug zu meiner eigenen hat. Das heißt aber natürlich nicht, dass ich nicht auch sehr gute Freunde aus dem westlichen Teil Deutschlands habe, ganz im Gegenteil! (lacht)

Was machst du beruflich?

Ich habe Sprachen studiert, in verschiedenen Ländern gelebt und seit 14 Jahren arbeite ich freiberuflich. Ich mache ganz unterschiedliche Sachen, die alle irgendwie mit Sprache zu tun haben. Ich arbeite im Tourismus und im Verlagswesen, gebe online Sprachunterricht, mache Recherche für große Unternehmen und NGOs, Redaktion/Edition und ab und zu auch noch Übersetzungen. Ich bin sehr flexibel und auch immer wieder offen für neue Angebote und Herausforderungen.

Was sind deine Lieblingsplätze in Valencia?

Man kann mich bei einem Spaziergang im Turia antreffen und ich gehe sehr gern ans Meer, vor allem an die Patacona oder aber auch ins Saler. Am Wochenende bin ich meist in den Bergen zum wandern, um die Comunidad Valenciana zu entdecken.

Hast du Lieblingsrestaurants?

In Benimaclet gehe ich immer wieder gerne zu der Tapasbar La Plaza.

Welche Orte der Umgebung von Valencia kannst du uns empfehlen?

Die Ecke von Montanejos gefällt mir sehr gut und auch Rubielos de Mora und Mora de Rubielos sind sehr schön.

Was vermisst du aus Ostdeutschland?

Zu Hause haben wir meistens ungarische Küche gegessen, deshalb vermisse ich typisch (ost)deutsches Essen eigentlich nicht so sehr. Vielleicht ab und zu eine Bratwurst oder ein Schnitzel? Und Sauerkraut? Aber das gibt’s ja alles hier bei Aldi und Lidl. Eine Sache vielleicht doch – Bambini-Schokolade! Die ist sehr lecker und versetzt mich in meine Kindheit der DDR zurück. Auch die Hallorenkugeln, die übrigens aus Halle kommen, liebe ich. Bei meinen Rückreisen aus Deutschland sind immer ein paar Hallorenkugeln in meinem Koffer. Was vermisse ich sonst noch aus Ostdeutschland? Ich finde, früher gab es mehr Kameradschaftlichkeit unter den Leuten. Nachbarn haben sich geholfen und es gab irgendwie einen größeren Zusammenhalt. Das ist zumindest mein Eindruck.

Einen großen Dank an Gabriela Hallas für ihre offenen und ehrlichen Worte!